Die Bibel erzählt im ersten Buch Samuel, Kapitel 17 vom Krieg der Israeliten gegen die Philister. Die kriegerische Auseinandersetzung gipfelt im Kampf Davids gegen Goliath. Es stehen sich in diesem Stellvertreterkrieg gegenüber: der mächtige, beschildete und hünenhafte Goliath; und der eher schmächtige, nur mit einer Steinschleuder bewaffnete David. Der Verlauf des Kampfes ist Weltliteratur: David nimmt einen Stein und schleudert diesen zielgenau auf die Stirn Goliaths, so dass dieser, tödlich getroffen, zu Boden geht.
Die Interpretation dieser Geschichte erscheint recht simple: JHWH steht seinem Volk treu an der Seite! JHWH war es, der Davids Hand führte und den Stein lenkte. Lediglich bewegungsaffine Sportwissenschaftler werden ggf. die Stimme erheben und erwähnen, dass es nicht unbedingt und zwingendermaßen die Hand JHWHs gewesen sein muss, die den Stein gelenkt hat, sondern David durchaus auch eine gewisse Expertise in der Nutzung der Schleuder gehabt haben wird.
Fakt ist: die Nutzung der Schleuder dürfte zum kindlichen Spiel des David gehört haben. So wie in unserer Jugend das Beklettern von Bäumen, raufen, fangen, Seilspringen, kicken. Das kindliche Spiel ist an Bewegung gebunden. Denn Bewegungsfertigkeiten waren über Jahrtausende überlebensrelevant. Jagen, klettern, kämpfen, Handwerk. Kinder erobern sich die Welt über Bewegung.
Die enge Verbundenheit des Menschen mit Bewegung drückt sich auch in der Sprache aus. ‚Begreifen’ ist ein Synonym für verstehen. Eigentlich aber meint ‚begreifen‘, etwas in die Hand zu nehmen, dessen Funktion und Bedeutung haptisch zu erkunden. Das neurophysiologische Äquivalent des Begreifens ist die Synaptogenese, eine neu geschaffene Verbindung zwischen zwei Nervenzellen – oder, etwas globaler, die Konsolidierung von neuronalen Engrammen. Gedächtnisbildung.
Der natürliche Bewegungsdrang des Kindes, dient dazu, sich seine Umgebung bewusst zu machen. Neues zu erfahren, Neues kennen zu lernen, Neues zu sehen, zu hören, zu schmecken und zu riechen. Und dieses Neue wird im Gedächtnis abgelegt, viel mehr noch, führt zur Gedächtnisbildung, viel mehr noch, führt zu Bildung des Gehirns. Die Entwicklung des Gehirns ist gebunden an sinnliche Erfahrungen, an Aha-Erlebnisse. Und diese sind gebunden an Bewegung und Begegnungen.
Wo wir uns nicht bewegen, bekommen wir keine Sinneseindrücke mehr, fordern unser Gehirn nicht mehr. Das ist so, als würden wir einen Muskel in Gips legen. ‚Use it or loose it‘ gilt auch für die Biomasse Gehirn! Um noch einmal die Weltliteratur zu bemühen: Kaspar Hauser ist ein gutes Beispiel für die physische, mentale und emotionale Verwahrlosung durch einen Mangel an Bewegung und Begegnungen. Heute heißt das Krankheitsbild Hospitalismus.
Kleiner Fun-Fakt am Rande: Die Natur hat das ganz geschickt eingefädelt: Bewegung führt zu einer Freisetzung von neurotrophen Proteinen, die die Synapto- und Neurogenese also die Entwicklung des Gehirns unterstützen. Der natürliche Bewegungsdrang des Kindes, setzt diese Proteine frei und unterstützt damit die Entwicklung des Gehirns.
Im Alter sieht es nicht anders aus. ‚Use it or loose it‘ gilt auch hier. Einer der größten Risikofaktoren im Alter an einer Demenz zu erkranken ist die soziale Isolation. Mit einer Abnahme der körperlichen Fitness im Alter wird der Bewegungsradius mehr und mehr eingeschränkt. Bis man sich gar nicht mehr traut und sich gar nichts mehr zutraut. Wir alle wünschen uns ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben im Alter: Mit den Enkelkindern spielen, Freunde treffen, reisen, soziales Engagement. Körperliche Fitness ist dafür die Grundlage. Deswegen ist es so wichtig im Alter in Bewegung zu bleiben und fit zu bleiben. Körperliche Fitness ist die Grundlage gesellschaftlicher Partizipation. Körperliche Fitness im Alter ermöglicht ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Und der beste Trainingsreiz für den Erhalt der funktionalen und strukturellen Integrität des Gehirns im Alter ist ein ganzheitliches, multisensorisches Training mit allen Sinnen. Und das bietet die Teilhabe an einem vollen und erfüllten Leben. Aber zur Teilhabe müssen wir körperlich fit sein.
Ein letzter Punkt: Auch für das Lernen und den schulischen und akademischen Erfolg spielen Sport und Bewegung eine wichtige Rolle. Zwar macht Sport nicht per se schlau und intelligent, aber Sport und Bewegung erhöhen die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit. Grundlage hierfür ist die von Arne Dietrich Anfang der 2000er Jahre aufgestellte Theorie der transienten Hypofrontalität: Während Sport und Bewegung kommt es zu einer Verschiebung neuronaler Aktivität aus dem frontalen Kortex, in dem die Ratio verortet wird, in diejenigen Kortexareale, die für die Planung, Steuerung und Exekution von Bewegung verantwortlich sind. Vielleicht haben Sie das selbst schon einmal erlebt nach dem Sport: das Gefühl den Kopf mal wieder so richtig frei bekommen zu haben. Die Abnahme kortikaler Aktivität im Frontalkortex ist das neurophysiologische Äquivalent dazu. Einfach mal nicht denken müssen. Sich nicht auf eine Sache konzentrieren, sondern aufgehen im Moment. Diese Auszeit bietet der Sport. Und das hat auch eine spirituelle Dimension.
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